Fünf Stockwerke des siebenstöckigen Turms sind quadratisch gemauert mit einer Seitenlänge von 5,50 m. Darüber erheben sich zwei achteckige Holzstockwerke und eine Barockhaube. Lange nahm man fälschlicherweise an, dass er als Teil der Stadtbefestigung der Stadt und nicht der Kirchengemeinde gehört.
Im ehemals offenen Erdgeschoß lag der ursprüngliche Eingang zur Kirche, der es seit 2016 auch wieder ist. Das Erdgeschoß hatte eine Gewölbedecke, die beim Brand 1635 zerstört wurde. Die Basis des Gewölbes kann man aber noch heute erkennen. Vom Erdgeschoß gab es nie einen Zugang zu den oberen Stockwerken.
Der Zugang zum 1. Stock des Turms erfolgt über die Westempore. Heute probt in diesem Raum der Posaunenchor. Wir nehmen an, dass es sich hier um eine ehemalige Kapelle handelt. Außerdem sieht man hier das einzige erhaltene Fenster mit gotischem Fischblasen-Maßwerk.
Der 2. Stock ist unverputzt. Von hier bildet ein kleiner Durchbruch den Eingang zum Dachboden der Kirche. Hier gibt es nur noch Schießscharten zur natürlichen Beleuchtung und Belüftung.
Interessant sind die Löcher im Mauerwerk, denn sie dienten den Erbauern als Verankerung für ihre Arbeitsplattformen. Übrigens wurde pro Jahr nur ein Stockwerk erbaut.
Im 3. Stock steht die alte Turmpendeluhr der Firma Weule aus Brockenem am Harz. Sie wurde vermutlich Mitte des 19. Jahrhunderts im Turm eingebaut. Inzwischen ist sie natürlich durch eine moderne Funkuhr ersetzt; das alte Uhrwerk funktioniert aber immer noch. Übrigens hatten die Hugenottenkirche und die Rathäuser von Wilhelmsdorf sowie Michelbach Uhren desselben Herstellers.
An der Wand des 3. Stocks kann man auch noch alte Uhrzeiger bewundern.
Übrigens, wussten Sie, dass im Turm auch Dohlen, Eulen und Falken nisten?
Auf halber Höhe im nächsten Stockwerk befinden sich heute die Motoren, die die Glocken antreiben. Dies ist auch das letzte gemauerte Stockwerk.
Der 5. Stock ist ein achteckiges Holzgeschoß. Hier befinden sich die vier Glocken, gestimmt in den Tönen f‘, as‘, b‘ und des‘‘. Die Gussstahlglocken wurden 1952 angefertigt. Das Geläut hat ein Gesamtgewicht von 1,7 Tonnen.
Am Ende des 2. Weltkriegs, als die Amerikaner Usingen einnahmen, versuchte eine Gruppe deutscher Soldaten vom Kirchturm aus Usingen zu verteidigen. So kam es zu einem amerikanischen Artillerietreffer, den man heute noch in der tragenden Holzkonstruktion sehen kann. Ein Granatsplitter schlug danach auf die letzte erhaltene Glocke und zerstörte ihre Aufhängung. Sie fiel zu Boden, konnte danach aber trotz zerstörter Krone weiter bis 1952 ihren Dienst tun. Die anderen drei Glocken waren schon 1941 vom Turm geholt worden, um für den Krieg eingeschmolzen zu werden.
Mit einem Blick nach oben kann man hier die Konstruktion der Holzdecke zum letzten Stockwerk gut erkennen.
Im 6. Stock des Turms befand sich die Türmerwohnung in einem ebenfalls achteckigen Holzgeschoss. Darüber sitzt die achteckige Barockhaube des Dachs. Hier wohnten die Türmer mit ihren Familien zwischen 1578 und 1860. Es gab genau 17 Inhaber dieser Position und alle sind namentlich bekannt. Ihre Aufgabe war der stündliche Glockenschlag, die Feuerwache und Ankündigung von Reisenden und Truppen. Häufig versah der Türmer auch das Amt des Organisten.
1860 verstarb der letzte Türmer noch „in Ausübung seines Dienstes“. Danach wurde eine Uhr mit Zeitanzeige und mechanischem Schlagwerk eingebaut, die Rolle des Türmers wurde obsolet.
Der Küchenraum konnte als einziges Zimmer der Türmerwohnung mit einem Ofen beheizt werden, den man heute nicht mehr erkennen kann.
Die angrenzende Wohn- und Arbeitsstube besaß einen Alkoven, wo die ganze Familie schlief.
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In dieser Nische, heute vom Fußboden verdeckt, sitzt das Fallrohr der ehemaligen Latrine der Türmerwohnung; die Bewohner mussten also nicht für jede Notdurft den ganzen Weg nach unten gehen. Das Fallrohr stieß im 3. Stock durch das Mauerwerk einfach ins Freie, eine sehr "pragmatische Beseitigung" der Notdurft.
Von den Fenstern der Türmerwohnung hat man natürlich einen weiten Blick über das Usinger Land, etwa auf die Altstadt mit Rathaus und Schlosspark.
Interessant ist der Blick auf das „gotische Viertel“ Usingens, denn hier erkennt man die damals übliche Dorfstruktur mit allen Gassen in Richtung Kirche.
Bevor wir uns wieder an den Abstieg machen, werfen wir einen letzten Blick auf die Wand. Hier an der Treppe sieht man noch gut, dass die Fächer des Holzfachwerks mit Strohlehm ausgekleidet waren.
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